- Der Stein in der Wand ( Bildmitte )
Die Fundstelle befindet sich auf meinem Gartengrundstück im kleinen Rösetal westlich von Höhnstedt.
Links im Bild sieht man den anstehenden Buntsandstein, dünne Sandsteinschichten mit geringer Festigkeit wechseln sich mit Tonletten ab. Dann folgen nach rechts gestörte Tonlettenschschichten, aber in der Lagerung gerade noch erkennbar. Das helle Band ist weißer Sand, ebenfalls Buntsandstein aus höheren Schichten mit eingelagerten durch Wasser verfrachteten Sandsteinen. In einer Ausbuchtung dieser Schicht wurde der Stein niedergelegt, bevor die Zeit ihn mit mehreren Metern Lößerde bedeckte und vor Verwitterung schützte, bis die Erosion ihn zusammen mit dem Codestein und dem Spezialwerkzeug wieder freilegte. Die Lößschicht ragt auf meinem Grundstück als stehengebliebene Nase in das Tal und ist sonst völlig von der Erosion abgetragen. Die Steilwand weist nach Süden.
Dieses kleine Steinchen hat mich auf die Spur geführt.
Vor der Steilwand wollte ich eine Trockenmauer setzen. Auf die geebnete Fläche war über Nacht das Steinchen aus der Wand gefallen. Aus instabilen Sandstein ohne Benutzungsspuren, wie frisch hergestellt, konnte das Steinchen nur eine Art Code darstellen, als Beigabe unmittelbar vor einer Niederlegung hergestellt.
Dort wo das Steinchen lag, brauchte ich also nur nach oben zu schauen, um den eigentlichen Stein zu entdecken.
Als ich das Steinchen umdrehte, war ich total überrascht. Der Sonne gegenüber - die Erde, gewölbt vielleicht sogar als Kugel gesehen. Man muß schon sehr gezielt suchen, um ein Steinchen mit so einer natürlichen Wölbung zu finden. Das kann kein Zufall sein. Mag man es auch nur als Indiz werten, es hat mich jedenfalls sensiblisiert, sehr genau hinzuschauen und alle Voreingenommenheiten beiseite zu lassen.
Das Steinchen ist natürlich kein Feuersteinwerkzeug mit den klassischen Bearbeitungsspuren, eher ein ausgesuchter Zufallssplitter, dem man aber durch einen kleinen Anschliff die zweckentsprechende Form gegeben hat. Bei den Hauptmesslinien kommt es darauf an, daß die begrenzenden Seitenwände exakt parallel geschnitten sind. Das kann man gut mit diesem Werkzeug machen - erst die eine Wand, dann die andere mit 0,7 mm Abstand. Zuletzt ist das Sonnensteinchen damit geschnitten worden, für die tiefsten Linien des größeren Steines ist die Schneide schon zu abgearbeitet. Der Anschliff erfolgte einseitig, um eine flächige Seitenauflage zu erhalten.
An dem präzisen ca 1cm langen Einschnitt erkannte ich sofort, daß er nur von Menschen ausgeführt sein konnte. Er wies exakt nach Süden. Der Stein war nach vorne schräg gedrückt. Die zwei anderen kleinen Steine waren offensichtlich von seiner Oberfläche abgerutscht. Vorsichtig entnahm ich den Stein der Wand, die ich in diesem Zustand beließ.
Buntsandstein trifft im wörtlichen Sinne auf den Stein zu. Der Stein besteht aus mehreren Schichten. Zur Oberfläche zu werden die Schichten immer feiner und toniger und erhalten ihre Festigkeit durch Einlagerung von Eisenoxyd. Besonders die alleroberste Schicht enthielt sehr viel Eisenoxyd, was eine sehr exakte Bearbeitung zuließ. Nachteil dieser differenzierten Schichtung war, daß die oberste Schicht leicht abplatzte, zumal sie durch die Ritzungen geschwächt war. Die erste Ritzung hat sich nur auf einem kleinen Fleck erhalten, wurde aber im Laufe der Nutzung wieder ergänzt, allerdings extrem fein, wohl um weitere Abplatzungen zu verhindern. Die tieferen Peillinien sind davon nicht betroffen.
Der große Vorteil des Materials zeigt sich sofort, wenn man durch eine Peillinie auf die Sonne schaut: das Material schluckt extrem viel Licht und spiegelt trotz der feinen Bearbeitung nicht. Selbst wenn die Sonne schon blendet, ist sie über eine Peillinie noch gut beobachtbar. Hinter dünnen Wolkenschleiern ist die Sonne ebenfalls gut erfassbar, selbst wenn sie mit bloßem Auge gar nicht mehr als Scheibe wahrnehmbar ist. Das ist für die Messgenauigkeit wichtig.
Fangen wir mit der Rückseite an. Der Stein lag zunächst einmal in fließendem Wasser, was man deutlich an den gerundeten Kanten rechts oben sieht. Der Stein wurde dann für den beabsichtigten Zweck geteilt. Der kleine Stein war übrigens nie ein Teil des größeren Steines gewesen. Schon die Teilung zeigt, daß von Anfang an, nicht der ganze Winkel des Sonnenlaufes von Wintersonnenwende zu Sommersonnenwende von Interesse war, sondern nur der Winkel zwischen Wintersonnenwende und Frühlingsanfang bzw zwischen Herbstanfang und Wintersonnenwende. Das entspricht auch den maximalen Beobachtungsbedingungen des Fundortes.
Die Hauptpeillinien wirken wie mit einem mechanischen Werkzeug gefräst - das soll Steinzeitarbeit sein? Und dann laufen die Linien nicht einmal in einem Punkt zusammen, kann man so überhaupt exakt messen? Erst ganz allmählich begann ich den Stein als Lehrmeister anzunehmen. Parallelverschiebung, Drehung und Spiegelung verändern nicht die Winkelbeziehungen - Steinzeitwissen - in der Schule gelernt, vergessen und von einem Menschen der Steinzeit wieder beigebracht. Dann sind viele parallele Linien zu sehen; abgeplatzt und erneut nachgezogen mit Hilfe von Lineal und Dreieck. Kleine Einsteckpunkte unten am Stein weisen auf die Benutzung von Peilstäbchen hin. Die oberen Einsteckpunkte sind zu einer mit dem oberen Rand parallel verlaufenden Rinne zusammengezogen. Vielleicht füllte man die Rinne auch mit Wachs aus.
Die von unten nach oben verlaufende unregelmäßige Struktur ist dagegen natürlich bedingt, ebenso darf man sich von der Mondlandschaft der Abplatzungen nicht irritieren lassen.
Auf dem Stein lassen sich mehrere Handschriften in der Bearbeitung des Steines unterscheiden. Zunächst sind da die Hauptlinien und die Reste der ersten parallelen Linien, dann sind da die wiederholten Linien und noch feinere parallele Linien und Winkellinien. Daneben gibt es auch skizzenhaft wirkende freie Linien. Vielleicht ist der Stein auch über mehrere Generationen hinweg benutzt worden. Der Stein ist stets ein Arbeitsinstrument gewesen und kein Schauobjekt.
Lange Zeit war ich über die Bedeutung der Viertelkreise im unklaren. Erst als ich mathematische Beziehungen zwischen Radius der Viertelkreise, Abstand der Parallelverschiebungen, sowie Maßen auf der Himmelscheibe miteinander verglich, kam ich dem wichtigsten Denkmodell des Steines auf die Spur. Die Viertelkreise verdeutlichen Pendelschwingungen.
Bleibt noch der kleine Einschnitt unten am Stein, den ich zuerst sah, als der Stein noch in der Wand steckte. Die Hauptpeillinie weist mit einem Schwenk darauf hin und auch die rechte Peillinie ist eine Parallelverschiebung des kurzen Einschnittes. Was verdient so viel Aufmerksamkeit? Alles zusammengenommen läßt sich die Winkelbeziehung des Einschnittes als Schiefe der Ekliptik gleichbedeutend mit Schiefe der Erdachse interpretieren. Mehr dazu auf der Seite Horizontastronomie.